„Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein!“ Jesaja 30,15

Liebe Gemeinde,

Gottesdienste werden wieder mit einer gewissen Präsenz gefeiert – unter bestimmten Voraussetzungen und unter den Maßgaben der Hygienevorschriften und den Regelungen des EKD Eckpunktepapiers. Demnächst auch wieder bei uns! Mit Geduld und Sorgsamkeit haben wir gewartet und auch beobachtet. Und wussten doch, dass etliche immer wieder auch gefragt haben: „Wie geht es weiter?“ „Wann geht es wieder los?“ – manche ungeduldig, andere aus allgemeinem Interesse und wiederum andere mit tiefer Sehnsucht und doch einer großen Sorgsamkeit im Herzen.

 

Wir hörten von Gottesdiensten, in denen es zu Infizierungen kam mit Folgen bis weit in das Familien- und Berufsleben hinein – nicht zuletzt durch die Quarantänemaßnahmen, die anhand der namentlichen Registrierung vorgenommen werden: der Gottesdienst einer Freikirche, in dem gesungen wurde, aber auch Gottesdienste der Großkirchen zu Pfingsten. Es gab Bestrebungen die Chorarbeit wieder so schnell wie möglich aufleben zu lassen. Jeder hatte bestimmte Interessen und alle meinen es gut!

 

Die Frage, die uns leitet, lautet: Was ist wann wie verantwortlich?

Gerade, wenn man selbst Schwipp-Verwandtschaft aus China oder dem Landkreis Heinsberg hat oder Menschen kennt, die sich um Corona-Patienten kümmern, dann merkt man, wie nah plötzlich das, was man tagtäglich im Fernsehen sieht, rücken kann. Man spürt auch selbst ganz deutlich diesen tiefen Wunsch, dass die Welt doch wieder anders sein sollte; dass bald endlich alles wieder „normal“ sein möge, dass man wieder weiter machen könnte wie zuvor…. Vorsicht – aber ist nach wie vor geboten!

Und dennoch spüren wir: Die Zeit des Wartens ist vorbei! Nach Genehmigung des Hygiene-Konzeptes wird es sicherlich auch bei uns wieder losgehen – mit gebührendem Abstand, der notwendigen Distanz und der Registrierung der Gläubigen.

Bis dahin wird es – wie sonst auch – Alternativen zu den Präsenzgottesdiensten geben: Online- und Fernsehgottesdienste, Videobotschaften, Bibel TV, Evangeliums-Rundfunk, Radioandachten oder Andachten in schriftlicher Form. Der Phantasie der Gemeindeglieder ist da keine Grenze gesetzt. Wer das Wort Gottes hören oder lesen will, hat dazu vielfältige Gelegenheit! Wir sollten diese allerdings auch tatsächlich nutzen! Ein reichhaltiges Angebot wird uns da in unserem Kirchenkreis und auch sonst im Internet präsentiert. Über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinaus zu denken und zu handeln, das war und ist auch weiterhin das Gebot der Stunde. In Zeiten der Pandemie geht es nur gemeinsam! Und „Kirche“ war immer stets mehr als das „Clübchen einer Ortsgemeinde“ oder lediglich eine „Ergänzung zu einem vielfältigen Vereinsleben“. Wir gehören als Kirche bzw. Kirchengemeinde zur weltweiten ökumenischen Gemeinschaft der Gemeinde Jesu Christi – die weit mehr ist als eine „verfasste Organisationsform religiösen Inhaltes.“

Wenn es nun zunehmend wieder anders aussehen wird in der kirchlichen Landschaft, dann sollten wir als christliche Gemeinde vor Ort weiterhin im Blick haben, dass gerade die, die zur Risikogruppe gehören, unsere Gottesdienste aufsuchen. Von daher müssen alle Beteiligten verantwortlich miteinander umgehen!

Würden dieselben Menschen, die zu Hause durch einen ambulanten Pflegedienst oder von ihren Angehörigen betreut werden – und dann auch einen Gottesdienst besuchen könnten – , in einem Alten- und Pflegeheim wohnen, würden sie im Kontakt zur Außenwelt ganz besonderen Sicherheitsmaßnahmen ausgesetzt… Darüber kann man nachdenken!

„Durch STILLESEIN und Hoffen würdet ihr stark sein!“ Jesaja 30, 15

Vielen fällt das schwer! Stillesein! Stille ist schon fast so was wie „Totsein“. In der Stille begegne ich mir selbst – meinen Abgründen, meinen Ängsten und Sorgen, allem, was ich durch Aktivität so wunderbar verdrängen kann. Angst vor der Stille – das ist die Kehrseite einer Gesellschaft, die immer in Aktion, in Betrieb und im Wachsen sein will; in der selbst die Freizeitaktivitäten Teil des wirtschaftlichen Wachstums geworden sind und voll durchgetaktet sind.

Wenn wir in die Stille eintauchen, dann soll das bitteschön etwas sein, was wir uns gönnen – fast schon wie ein Luxusprodukt. Wenn Stille angesagt ist, dann bitte nur durch eine bewusste Wahl: mal ein Wochenende im Kloster, ein Wellnesswochenende mit der Frau / dem Mann, eine Wanderung mit Freunden. Selbst das Pilgern ist ein Luxus geworden… Stille ja! – aber bitte als bewusste Entscheidung eines autonomen Individuums!

Stillesein, Entschleunigung, Leben nach dem Motto: Wir bleiben zuhause!“, weil es geboten – gesellschaftlich und politisch gefordert wird – das ist schon etwas schwieriger.

Und so hat jeder seine Interessen und jede ihre eigene Meinung.

„Durch Stillesein und HOFFEN würdet ihr stark sein!“

Nun ist das mit der „Hoffnung“ so eine Sache… Wir sagen oft: „Hoffen und Harren hält manchen zum Narren!“ Hoffnung in der Bibel ist aber etwas völlig anderes als ein: “Ich vermute“ „Es könnte ja sein, dass…“ Wie anders aber fühlt es sich an, wenn wir wissen, es gibt tatsächlich eine Hoffnung! Das hebräische Wort für „Hoffnung“ heißt „Tikwa“. Und es leitet sich von seinem Wortstamm ab von „Seil“, „zusammenbinden“ „angespannt warten“. Das ist kein Zufall. Die biblisch begründete Hoffnung ist keine Durchhalteparole, nichts nach dem Motto: „Kopf hoch – wird schon wieder!“ „Augen zu und durch!“ Es geht nicht darum, einfach weiterzumachen und anschließend sehen, wo uns das hingeführt hat. Die biblisch begründete Hoffnung ist „in Gott selbst“ verankert. „Hoffnung“ ist wie „Liebe“ ein Wesenszug unseres Schöpfers und Erlösers! Deshalb hat er seine Schöpfung, seine Menschen niemals aufgegeben! Wir haben einen „Gott der Hoffnung.“ Und diese Hoffnung verbindet uns mit Gott. ER selbst wirft uns das „Seil der Hoffnung“ zu und sagt: „Mach dich daran fest -an diesem Seil der Hoffnung, das einen Namen hat: Jesus! ER hat dem Tod die Macht genommen! Er verbindet deine Wunden und heilt deine Seele! er stiftet Gemeinschaft und verbindet dich mit Menschen, wo du es nicht für möglich hieltst – auch über Grenzen und Mauern hinweg. Er bietet dir Nähe zu ihm an – ohne körperlichen Kontakt, – und eben auch zu deinem Nächsten!

Er verbindet dich selbst – wo du innerlich zerrissen bist und „heilet alle deine Gebrechen“ – und das in einer einzigartigen Weise , in dem der Verletzungen und Wunden verarztet und deiner Seel Heil und Halt bietet.

 

Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark werden!“

Durch die Stille- durch die Begegnung mit Gott, durch die Auseinandersetzung mit dem Eigentlichen, mit dem, worauf es letztlich ankommt, würdet Ihr stark werden…

Wie geht das? Wie können wir diese Begegnung zulassen?

„Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen!“ heißt kurz vorher und kurz danach: “Aber ihr wollt nicht!“ Umkehr! Buße tun! Das Leben überdenken! Sich selbst in Frage stellen und die Frage nach Gott stellen! Jesus kennenlernen, die Erlösung annehmen, Freiheit zulassen, die mehr ist als Lockerungen herbeizusehnen. Die Schuld der anderen zu vergeben, neue Wege zum Nächsten suchen und sich selbst von Gott vergeben zu lassen. Was für eine Freiheit! Was für ein Genuss! „Aber ihr wollt nicht!“ Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark werden!

Das ist eine Stärke, die weit grösser ist als die Stärke der Mächtigen, die Omnipräsenz von Diktatoren oder das ständige Abwickeln eines geschäftigen Aktivismus.

Wie kannst du stark werden?

Indem du Schwäche zulässt! Stille zulässt. Gottes Nähe wahrnimmst und dann umkehrst zu dem Gott, der dich liebt. Dich selbst im Lichte der vergebenden Liebe Gottes wahrnimmst, deine ganze Bedürftigkeit – aber vor allem eben auch die Größe und Großartigkeit unseres Gottes erkennst, der immer wieder bereit ist, sich klein zu machen, um uns nah zu sein. Der nicht in den Palästen und Kathedralen dieser Welt wohnt, aber in den Hütten und Baracken der Entrechteten und Geschundenen.

Du willst Gottesdienst feiern, dann nimm die Schwachen wahr und schütze sie!

Du willst Gottesdienst feiern, dann vergib demjenigen, der dir etwas schuldig geblieben ist, dem du sein Schuldigwerden-an-dir schon seit Jahren nachträgst.

Du willst wieder zur Kirche „rennen“, dann geh zu deines Nächsten Tür und begegne ihm mit Liebe und Respekt.

Du willst Gottesdienst feiern, dann steig von deinem hohen Roß und tu, was Christus gemacht hat, der sich vor seine Jünger kniete und ihnen die Füße wusch.

Du willst Gottesdienst feiern, dann feiere deinen Gott, der sich auf Augenhöhe begibt und dir Gutes tun will, der deine Seele berührt und zu dir sagt:

„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“ (2. Kor 12,9)

 

Demnächst geht es wieder los – auch in unserer Gemeinde! Doch die Frage bleibt: Was ist eigentlich Gottesdienst?

Und: Was bedeutet der Gottesdienst im Alltag des Lebens?

Wo sind wir bereit, nicht nur die Gemeinschaft untereinander zu suchen und die Aktivitäten unserer Gemeinde zu beleben, sondern die Aktion Gottes an unserem eigenen Herz zuzulassen – wenn er zu uns sagt: „Du musst – du darfst -jetzt umkehren! Erneuere dein Vertrauen zu Jesus. Lass seine Gegenwart in deinem Herzen zu und verändere dein Verhalten anderen Menschen gegenüber. Richte dich neu aus an seinen Geboten, die eine Richtschnur für unser Leben sind, und mach dein Leben fest an dem Seil, das einen Namen hat: Jesus! – die einzige Hoffnung, die dein Leben verändert und dich über die Abgründe des Todes hinweg trägt.

Es geht bald wieder los! Was aber nie aufgehört hat und niemals aufhören wird, ist die große Einladung Gottes, seine Nähe zu suchen und Jesus unser Herz berühren zu lassen.

Gott sagt: „Heute, wenn ihr meine Stimme hört, verstocket euer Herz nicht!“

Es kommt nicht auf die Anzahl unserer Gemeindeaktivitäten an, auch nicht auf die Anzahl von Präsenz- oder Fernseh- oder Onlinegottesdienste, sondern darauf, ob wir bereit sind, die Botschaft wirklich zu hören und zulassen:

„Durch Stillesein und hoffen würdet ihr stark sein!“

Was könnte das für dich ganz persönlich jetzt bedeuten?

Ich wünsche uns allen einen gesegneten Sonntag und freue mich auf ein baldiges Wiedersehen! Bleiben Sie behütet und gesegnet!

Ihr Pfarrer Bernd Melchert