„mit der Krise leben“ – „in der Krise leben“

Liebe Gemeinde,

 

„mit der Krise leben“ – „in der Krise leben“ –
das fällt so schwer und doch:
wir haben keine Wahl!
Dieses Ausgeliefertsein,
dieses „Nicht-wirklich-entscheiden-können“
trifft uns hart.
Wir werden in unseren Freiheiten eigeschränkt.
Unser Alltag wird bestimmt von einem kleinen Virus.
Und dennoch ist es ein Akt der Nächstenliebe,
sich und andere zu schützen,
um die Ausbreitung des Virus zu vermindern.
Liebe und Solidarität wollen und sollen sich
immer mehr unter uns verbreiten.
Kleine Gesten der Freundlichkeit, die so viel bewirken,
die anrühren und in uns etwas in Gang bringen.
Jesus will uns erreichen.

So wie damals.
Ich sehe ihn vor mir: den kleinen Mann,
der so viel wollte,
sich so viel genommen hatte,
sein Leben fest im Griff hatte
und doch von anderen gemieden wurde:
den Zöllner Zachäus.
Und Zachäus hört, dass Jesus nach Jericho kommt.
Er will ihn sehen,
diesen Mann,
von dem so viele erzählten;
der Wunder getan hatte, Menschen geheilt hatte
und so liebevoll von Gottes Wesen sprach –
ja mehr noch:
die Liebe Gottes spürbar den Menschen weitergab.

Doch Zachäus war klein und die Menge groß,
denn alle wollten ihn sehen: Jesus.
Zachäus vorlassen? nach vorn in die erste Reihe? Nein!
Das kam nicht in Frage!
Schließlich macht er mit den verhassten Römern
gemeinsame Sache, steckt mit ihnen unter einer Decke
und nahm der Bevölkerung zu viel Steuern ab!
Dieser kleine Mann war ein so großer Halunke!
Aber Zachäus ließ sich nicht abhalten!
Seine Sehnsucht war größer,
sein Wunsch, etwas von Jesus zu erfassen,
einen Blick auf Jesus zu werfen –  
all das war stärker als der Gegenwind der Masse.

Und so klettert er auf einen Baum…
Er trifft eine Entscheidung
und setzt alles daran: Jesus sehen zu wollen!

Und…
Jesus sieht ihn!
Eine riesige Menschenmenge und
Jesus sieht diesen kleinen Mann im Baum
und schaut zu ihm herauf
und spricht ihn mit Namen an:

„Zachäus, steig eilend herunter,
denn ich muss heute in deinem Haus einkehren!“
(Lk 19, 5)

Da spiegelt sich Gottes Wesen wider. In diesem Jesus!
Gott blickt nicht auf uns herab! Nein.
Er macht sich vielmehr klein,
wird Mensch in Jesus,
geht in unser Jericho, sucht uns,
ist sich nicht zu schade, zu uns herauf zu blicken
und spricht uns mit Namen an.
Er kennt dich!
Er kennt deine Situation.
Er weiß, wie es dir jetzt geht
und was du für dich brauchst –
was du wirklich brauchst
und nicht, was wir all die Jahre meinten zu brauchen:

Eine echte Begegnung mit der Liebe Gottes,
die uns nicht vergisst,
die uns mit Namen anspricht,
die eine Beziehung zu uns aufbaut
und die in uns Gestalt gewinnen will.

Zachäus lässt sich auf diesen Ruf Jesu ein.
Er lädt Jesus in sein Haus ein.
Die Menge ist entsetzt:

„Bei einem Sünder ist er eingekehrt!“ (Lk 19, 7)

Jesus sitzt nicht im Tempel, nicht in einer Kirche,
sondern bei uns Menschen – bei uns zu Hause –
in all unserer Bedürftigkeit.

Und jetzt kommt das Wunderbare:
Er hält dem Zachäus keine Standpauke,
sondern: sie essen und trinken!
Sie feiern, sie reden.
Als „Fresser und Weinsäufer“ ist er ja bekannt –
dieser Jesus.

Und jetzt geschieht Veränderung!
Durch die Erfahrung:
Gott kennt mich beim Namen.
Gott liebt mich und will bei mir einkehren.
Er nimmt mich an!
Zachäus merkt, wie reich er beschenkt ist
und wieviel Mist er in seinem Leben gebaut
und angehäuft hat.
Und er trifft eine Entscheidung:

„Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz
gebe ich den Armen,
und wenn ich jemanden betrogen habe,
so gebe ich es vierfach zurück.“ (Lk 19, 8)

Und Jesus antwortet:
“Heute ist diesem Haus Heil widerfahren,
denn auch er ist Abrahams Sohn.“ (Lk 19, 9)
Die Isolation ist aufgehoben.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen konkret
in diesen Corona-Zeiten geht.
Diese Phase der Selbstbeschränkung,
der Isolation und
dieses „Kontaktes-auf-Abstand“
trifft viele von uns sehr hart.
Doch wir haben keine Wahl –
um der Liebe willen ist es so geboten.
Karfreitag und Ostern lehren mich:
in allen Situationen will Gott uns gegenwärtig sein.
Auch und gerade jetzt.
Die Erfahrung, die Zachäus mit Jesus macht, zeigt:
Jesus überwindet Hindernisse
und kommt zu den Menschen!
In unser Leben! Er will uns nah sein!

Jesus sitzt nicht in einer Kirche
und wartet darauf, dass einer zu ihm käme,
um mit ihm Gottesdienst zu feiern.
Er geht durch unsere Dörfer und Städte.
Er sucht Wege und Gesten der Liebe,
um dich und mich zu erreichen.

Er spricht uns mit Namen an.
Er weckt in uns eine Sehnsucht nach Gott –
nach Veränderung unseres Lebens,
nach einem Neuanfang,
der so viel mehr ist,
als dass wir zur Normalität zurückkehren würden.

Zachäus lässt sich auf den Ruf Jesu ein.
Jesus lädt sich in das Haus des Zachäus ein
und Zachäus sagt: Ja.
Und dann – durch Gemeinschaft mit Jesus –
verändert sich alles.

Für mich lautet in diesen Zeiten
ganz besonders die Frage:
Höre ich den Ruf Gottes?
Spüre ich seine Zusage: „Ich bin bei dir!“
Bin ich bereit das Haus meines Lebens zu öffnen
für seine Gegenwart?
Da gehört Mut zu!!!
Denn bei allem Wissen: Gott liebt mich so wie ich bin –
er ruft mich ja auch heraus aus meinem bisherigen

Leben:
– aus all den Gewohnheiten
– aus all der Bequemlichkeit
– aus all den Sicherheiten

Es kommt zu einer Begegnung mit uns selbst –
mit der eigenen Vergangenheit,
mit der trostlosen Gegenwart.

Und da ist dieser Ruf nach Veränderung.
Zachäus hört ihn ganz leise in seinem Herzen
und trifft eine Entscheidung……

Ich möchte die Corona-Zeit nutzen

  • ich will sie nicht schönreden, aber nutzen –

und ich will von Zachäus lernen!

mein Leben zu sortieren,
Dinge zu klären und zu bereinigen
und vor allem mich auf die Begegnung mit Gott
einzulassen.
In die Stille zu gehen.
Da mag die ein oder andere Träne fließen,
da mag viel Verdrängtes hochkommen.
Die Begegnung mit sich selbst ist nicht immer
einfach.
Aber Gott lässt uns da nicht im Regen stehen,
sondern eröffnet uns neue Wege,
sich selbst und anderen zu vergeben,
in Liebe sein Leben in Ordnung zu bringen
und Entscheidungen zu treffen für die Zukunft
darum geht es.
Einfach mal eine neue Sichtweise
auf sein Leben einzuüben!
Achtsam mit sich, dem Nächsten und der Mitwelt
umgehen.
Den Sonntag heiligen
und die Welt um einen herum nicht ausbeuten,
Gesten der Freundlichkeit einzuüben,
ganz im Sinne von Micha 6, 8:

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist
und was der HERR von dir fordert,
nämlich Gottes Wort halten
und Liebe üben
und demütig sein vor deinem Gott.“

„Mit der Krise leben“ – „in der Krise leben“…
und Krisen als Chance zu begreifen.

Zu fragen: Was zählt wirklich in meinem Leben:
Einander vergeben und füreinander da sein.
Und vor allem Jesus ins eigne Herz zu lassen,
ihn an uns wirken lassen,
Veränderung zuzulassen
und dann mutig vertrauensvolle Schritte in die Zukunft
wagen!

Es bleibt spannend:
ein Leben im Vertrauen zu Gott
– in guten wie in schweren Zeiten!

Bleiben Sie behütet und:
Gott segne und bewahre Ihr Herz
im Vertrauen zu Jesus Christus. Amen

Ihr Pfarrer Bernd Melchert